Gesangstechnisches Ordnungssystem
von Hans-Josef Kasper

Gesangstechnisch gesehen braucht man nur 4 Bereiche zu beachten. 

Atmung 
Stimmlippenfunktion 
Resonanzräume (Register) 
Passagio 

Mit diesen 4 Bereichen hat ein guter Sänger technisch gesehen alles, was er zum Singen braucht und erreicht bei der optimalen Ausnutzung dieser den geforderten internationalen Klangstandard. Ich gebe hier mal nur einen groben Überblick. 
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Die Atmung: 

Die Atmung ist der Motor für die ganze Stimme und bedarf einer genauen Technik und Funktion diese immer optimal in jeder Tonhöhe zu steuern. 

Es gibt drei verschiedenen Atmungsarten: 

Hochatmung 
Rippenatmung 
Zwerchfell-Flankenatmung 

Hochatmung: 
Diese Atmungsart ist zum singen unbrauchbar, da sie den Brust und Halsraum bei der Ausatmung zusammenpresst. Das Zwerchfell ist hier kaum bei der Ein- und Ausatmung beteiligt und bleibt in seiner hohen Ausgangsbasis stehen. 

Rippenatmung: 
Diese Atmungsart wird von vielen Sängern benutzt. Mit ihr ist einer der Tonhöhe angepasster Atemdruck möglich. Hier muss man immer aktiv einatmen was ich als Nachteil sehe. Luftüberfüllungen sind mit ihr leicht möglich und können die Atmung aus der Balance bringen, so dass oft Pol und Gegenpol nicht mehr aufeinander abgestimmt funktionieren können. Der Sänger verbraucht so zu schnell seine Luft. 

Zwerfell-Flankenatmung: 
Mit dieser Atmungsart kann man genialerweise durch eine reflektorische automatische Kontraktion des Zwerchfells passiv einatmen. Es wird hier immer nur die Luft ausgetauscht, die auch verbraucht wurde, so dass eine optimale Balance zwischen Pol und Gegenpol, Spiel und Gegenspieler automatisch entsteht. 
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Die Stimmlippenfunktion: 

An den Stimmlippen entstehen die einzelnen Grundschwingungen der Tonhöhen. 

Hier gibt es 4 verschiedene Schwingungsfunktionen der Stimmlippen und eine Pfeiffunktion. 

Vollstimmfunktion 
Mittelstimmfunktion 
Randstimmfunktion 
Fistelstimmfunktion (periodische Teilschwingung der Stimmlippen) 
Falsett (Männerstimme) Pfeifstimme (Frauenstimme) = funktional das Gleiche. 

Die unterschiedlichen periodischen Schwingungsfunktionen der Stimmlippen Vollstimmfunktion, Mittelstimmfunktion und Randstimmfunktion, sprechen verschiede Resonanzräume dominant an und sind somit direkt für die Registerbildung verantwortlich. Man könnte sagen, aus den Stimmlippenfunktionen ergeben sich die Resonanzraumgewichtungen und somit Registergewichtungen. 

Vollstimmfunktion: 
Weitgehend in isolierter Form zum klassischen singen unbrauchbar. Gesamte Stimmlippenmasse in Schwingung. Resonanzraum Brustraum, Brustregister 

Mittelstimmfunktion (hauptsächlich von Frauenstimmen eigenständig genutzt): 
Die Schwingung verlagert sich bei höheren Tönen mehr zu den Stimmlippenrändern hin. Resonanzraum Mundraum, mittleres Register. 

Randstimmfunktion: 
Resonanzraum Nasenrachenraum, Ober- oder Kopfklang. 
Starke Randkantenverschiebung der Stimmlippen mit dominantem Anteil des Stimmlippenepithels. Die Randstimmfunktion gilt als eigenständige Schwingungsfunktion und schwingt von der Vollstimmfunktion getrennt. Durch den sogenannten Passagio (Registerübergang oder Bruch), wird diese Schwingungstrennung nachgewiesen. Für die Höhe müssen Sänger diesen Schwingungswechsel wie eine Gangschaltung benutzen, um eine kleinere Schwungmasse zu bekommen die dann leichter schnellere Schwingungen vollziehen kann und mit weniger Atem steuerbar ist. So wird dann die Höhe leicht erreicht. Bei Männerstimmen erscheint der Übergang (Passagio)stärker als bei Frauenstimmen, was sich aus der unterschiedlichen Größe der Stimmlippen erklärt. Genau auch aus diesem Umstand hat jede Stimmgattung ihren Übergang, Buch, Registerwechsel, Passagio an einer anderen Stelle. 

Eine einregistrig klingende Stimme, von der Tiefe in die Höhe, ohne nennenswerten Bruch und Klangunterschied bekommt man, wenn man schon in der Tiefe die Randstimmfunktion dominant benutzt, also schon dort mit einem sehr stark hochgestellten Randstimmanteil beginnt. Dadurch erscheint dann kaum noch ein wahrnehmbarer Bruch und eine nahtlose Registerverlagerung findet statt. Sie greifen sozusagen ineinander. 

Man erreicht dies, wenn man alle Resonanzen durch eine tiefe und weite Kehle öffnet und den Stimmklang immer sehr stark bei jedem Vokal mit dem U-Klang mischt. Zusätzlich noch das U in der Mundstellung (Mundwinkel nach innen gezogen) für jeden Vokal beibehält. 
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Die Resonanzräume (Register): 

An der Klangewichtung der Resonanzräume zeigen sich die jeweiligen Register der Stimme. Die Resonanzräume klingen immer in einem Mischungsverhältnis und erscheinen nicht getrennt. Von der Tiefe in die Höhe sollte idealerweise eine nahtlose Resonanzverlagerung von brustigen Anteilen und/oder Mundraumanteilen in immer mehr Oberklanganteile (Kopfklanganteile) stattfinden, so dass eine Mischung aus Mund- und Nasenluftweg entsteht, die zur Höhe hin immer nasenlastiger wird. Das funktioniert nur, wenn in der Tiefe schon eine starke Oberklangverbindung aus einer dominanten Randstimmfunktion resultiert. Alle Vokale sind in U- oder O-Klangmischung. 

In den Resonanzräumen 

Brustraum 
Mundraum 
Nasenrachenraum 

werden die jeweiligen Register 

Brustregister 
Mittleres Register 
Oberklang (Kopfklang) erzeugt, 

die sich aus den Stimmlippenschwingungsbereichen 

Vollstimmfunktion 
Mittelstimmfunktion 
Randstimmfunktion ergeben. 

Beim singen sollten immer alle Resonanzräume geöffnet sein, damit je nach Stimmlippenfunktion die entsprechende Mischung sauber erfolgen kann. 

Hierfür muss die Kehle tief und weit mit einer Gähnstellung oder einem Inhalare la voce Gefühl usw. eingestellt werden, damit sich der Oberklang öffnet und dessen Resonanzausgang durch die Nase frei wird und mit dem Mundweg eine Mischung bilden kann. 
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Passagio (Übergang, Registerwechsel): 

Vielen Sängern fehlt das obere Drittel ihres natürlichen Stimmumfangs, weil erstens nicht alle Resonanzen geöffnet sind, der Nasenweg nicht frei und offen ist und nicht von der Vollstimmfunktion (Mittelstimmfunktion bei der Frauenstimme) in die Randstimmfunktion mit Resonanzraum Nasenrachenraum mit Ausgang durch die Nase umgeschaltet werden kann. Eine Schwingungsänderung der Stimmlippen in die Randstimmfunktion bewirkt diesen Registerwechsel, der als Klangbruch oder Klangveränderung ab einer bestimmten Tonhöhe wahrgenommen wird. Bei jeder Stimmgattung auf Grund der unterschiedlichen Anatomie an einer anderen Stelle. Dieses Problem betrifft mehr die Männerstimmen als die Frauenstimmen, was mit der Größe der Kehle direkt zu tun hat. Sind gewisse Vorbedingungen erfüllt, ist das Umschalten sehr einfach und kann durch eine einfache Handbewegung suggeriert werden. 

Männerstimmen denen das obere Drittel des Stimmumfangs fehlt gelten als Massenphänomen. Nicht zuletzt aus dem Grund, weil es kaum Gesangslehrer gibt, die den Übergang (Passagio) vermitteln können. An den Musikhochschulen gibt es deshalb haufenweise Tenöre ohne Höhe, denen auf Grund von Unwissenheit der Zusammenhänge immer spätestens bei a' die Stimme kickst. Das liegt nur daran, weil sie den Umschalter zwischen den beiden Stimmlippenschwungmassen Vollstimmfunktion in die Randstimmfunktion nicht beherrschen und das auch kaum jemand vermitteln kann. Aus diesem Grund gibt es auch so wenige erfolgreiche Tenöre. Die es gibt, sind meist Naturstimmen und haben den Passagio schon automatisch. 

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